Warum moderne Betriebe auf Fluss statt auf Vollauslastung setzen
Die klassische Produktionsplanung folgt oft einem Grundgedanken: Jede Maschine soll möglichst gut beschäftigt sein. Viele Unternehmen haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass diese Sichtweise zwar beruhigend wirkt, aber in der Praxis kaum zu kurzen Durchlaufzeiten oder geringen Beständen führt. An dieser Stelle setzt ein Konzept an, das in den 1980er-Jahren weltweite Aufmerksamkeit erlangte: ein Ansatz, der den gesamten Ablauf nicht an der Auslastung der einzelnen Maschinen, sondern am tatsächlichen Materialfluss und der Leistungsfähigkeit des Engpasses Optimized Production Technology (OPT) ausrichtet.
Entwickelt wurde das Konzept durch E. M. Goldratt und anderen in Israel entwickelt und in den USA ab 1982 in bedeutenden Unternehmen praktiziert.
Der Dreh- und Angelpunkt: der Engpass
Ein Engpass ist jene Stelle im Produktionssystem, deren Kapazität die Gesamtleistung begrenzt. In vielen Unternehmen liegt er nicht dort, wo man ihn intuitiv vermutet. Die Identifikation des Engpasses ist deshalb der erste grundlegende Schritt. Sobald er gefunden ist, verschiebt sich die Logik der Produktionsplanung:
- Nicht jede Maschine muss ausgelastet sein – sie muss passend zum Takt des Engpasses arbeiten.
- Jede Stunde, die am Engpass verloren geht, wirkt sich auf das gesamte System aus.
- Jede zusätzliche Stunde an einer nichtlimitierenden Stelle erzeugt lediglich Bestände, aber keinen Mehrwert.
Damit dreht sich das traditionelle Denken vollständig um: Entscheidend ist nicht die Summe einzelner Optimierungen, sondern die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems.
Vom Kapazitätsfokus zum Flussfokus
Ein engpassorientiertes Produktionskonzept versucht, die Wertschöpfungskette wie einen Fluss zu gestalten. Statt jeder Abteilung ihren eigenen Optimierungsraum zu überlassen, konzentriert sich die Planung auf den kontinuierlichen Ablauf durch das gesamte Netzwerk. Daraus ergeben sich mehrere Leitgedanken:
- Der Materialfluss ist wichtiger als die individuelle Auslastung.
- Bestände entstehen vor allem dort, wo Arbeit schneller produziert wird, als der Engpass verarbeiten kann.
- Transport- und Bearbeitungslosen müssen nicht identisch sein – kleinere Transportlose fördern oft den Fluss.
- Losgrößen sollten flexibel sein und sich an der Situation des Engpasses orientieren.
Ein besonders wichtiger Punkt: Die Durchlaufzeit ist das Ergebnis eines abgestimmten Plans. Sie lässt sich nicht isoliert „festlegen“, sondern ergibt sich aus der Verzahnung aller Abläufe rund um den Engpass.
Schrittweises Vorgehen in der Planung
Ein engpassorientiertes Konzept folgt in der Regel mehreren Stufen:
- Bestimmung des Bedarfs
Zunächst wird der zukünftige Bedarf ermittelt. Daraus ergibt sich grob, welche Kapazitäten benötigt werden. - Kapazitätsanalyse
Danach folgt eine Untersuchung der Produktionsstruktur, um die tatsächlichen Begrenzungen sichtbar zu machen. - Trennung in kritische und unkritische Bereiche
Der Produktionsfluss wird in Segmente gegliedert – mit einem klar gekennzeichneten Kernbereich, in dem der Engpass liegt. - Planung mit Schwerpunkt auf dem Engpass
Hier wird festgelegt, welche Losgrößen, Reihenfolgen und Abläufe den Engpass optimal unterstützen. - Feinsteuerung der übrigen Bereiche
Die nichtkritischen Stationen richten sich rückwärts (retrograd) nach den Vorgaben des Engpasses. Treten dabei neue Probleme auf, wird die Produktionsstruktur angepasst.
Anforderungen an Unternehmen
Ein derartiges System entfaltet nur Wirkung, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Fertigung sollte relativ stabil strukturiert sein, nicht ständig wechselnden Produktprogrammen unterliegen und über verlässliche Daten verfügen.
- Lieferanten müssen zuverlässig arbeiten, damit der Engpass nie „trockenläuft“.
- Eine konsequente Instandhaltung verhindert, dass die kritische Ressource ausfällt.
- Disziplin in der Planung ist entscheidend – improvisierte Eingriffe können das gesamte System aus dem Gleichgewicht bringen.
Gerade Betriebe mit tiefer Fertigungstiefe profitieren von diesem Ansatz, weil dort komplexe Abhängigkeiten bestehen, die nur durch eine klare Flussorientierung beherrschbar werden.
Ein engpassorientiertes Produktionssystem zwingt Unternehmen dazu, die gewohnte Denkweise zu verlassen. Es zeigt, dass effiziente Abläufe nicht durch maximale Auslastung aller Maschinen entstehen, sondern durch die intelligente Steuerung des gesamten Produktionsflusses. Wer seine Produktion konsequent auf den Engpass ausrichtet, erreicht oft kürzere Durchlaufzeiten, niedrigere Bestände und einen ruhigeren, stabilen Fertigungsprozess – und das ohne zusätzliche Investitionen.
Ernst wilhelm edmund menzel
